Aktuelle Rechtsprechung im Medizinrecht – Wissen, das schützt

In unserem Bereich „Aktuelle Rechtsprechung“ halten wir Sie stets auf dem Laufenden über bedeutende Urteile und richtungsweisende Entscheidungen aus verschiedenen Bereichen des Medizinrechts. Hier erfahren Sie nicht nur, welche Positionen Gerichte zu komplexen medizinrechtlichen Fragestellungen vertreten, sondern auch, welche Auswirkungen diese Entscheidungen für Patienten, medizinische Einrichtungen und die Rechtsberatung haben.

Unsere Beiträge beleuchten die Hintergründe der jeweiligen Fälle und erläutern verständlich, wie sich juristische Streitfragen entwickelt haben und welche rechtlichen Konsequenzen daraus resultieren. Von Schadensersatzansprüchen über Schmerzensgeldforderungen bis hin zu Beweislastfragen – wir bieten Ihnen fundierte Einblicke in die aktuelle Rechtsprechung.

Besonders für Patienten, die sich mit medizinrechtlichen Problemen konfrontiert sehen, können diese Informationen eine wertvolle Orientierungshilfe sein. Sie helfen dabei, die Erfolgschancen einer Klage besser einzuschätzen und zeigen, welche Aspekte von besonderer Relevanz sind.

Rechtsanwälte und Fachanwälte für Medizinrecht finden in unserem Überblick zudem eine wertvolle Ressource, um auf dem neuesten Stand der Rechtsprechung zu bleiben und ihre Mandanten optimal zu vertreten.

Durch unsere regelmäßigen Updates möchten wir dazu beitragen, Ihr Wissen zu erweitern und Ihnen ein besseres Verständnis der aktuellen Entwicklungen im Medizinrecht zu vermitteln.

Im Körper der Patientin vergessene OP-Nadel

10.000 Euro  

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden, dass das Zurücklassen einer 1,9 cm langen Nadel im Bauchraum einer Patientin während einer Operation im Bundeswehrkrankenhaus Ulm einen schuldhaften Behandlungsfehler darstellt. Die Patientin wurde erst zwei Monate später informiert und muss seither regelmäßige Röntgenuntersuchungen durchführen lassen, um mögliche Komplikationen zu überwachen. Aufgrund der Belastung durch die ungewisse medizinische Lage wurde ihr ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro sowie ein Schadensersatz von rund 2.000 Euro zugesprochen. Das Gericht betonte die Verpflichtung von Ärzten, durch umfassende Zählkontrollen sicherzustellen, dass keine Fremdkörper im Operationsgebiet verbleiben. Die Revision wurde nicht zugelassen.

OLG Stuttgart, 20.12.2018, -1 U 145/17-

Tödlicher Behandlungsfehler: Verspätete Diagnose und Fehldiagnose einer Lungenentzündung

75.000 EUR  

Der verstorbene Ehemann der Klägerin wurde wegen starker Entzündungssymptome und Verdacht auf eine schwere Infektion in einem Krankenhaus behandelt. Trotz deutlicher Anzeichen für eine schwere Erkrankung wurde er zu spät stationär aufgenommen und wichtige Untersuchungen wie eine Röntgenaufnahme der Lunge erst verzögert durchgeführt. Statt die tatsächliche Ursache – eine schwere Lungenentzündung – umfassend zu behandeln, gingen die Ärzte fälschlicherweise von einer Pilzinfektion (sogenannte Candida-Sepsis) aus, obwohl es dafür keine eindeutigen Beweise gab.

Die Therapie war zudem fehlerhaft: Die notwendigen Antibiotika wurden nicht rechtzeitig und nicht in der richtigen Form verabreicht. Auch als der Zustand des Patienten sich verschlechterte und es zu Hirnabszessen kam, wurde kein Neurologe hinzugezogen. Die unzureichende Behandlung führte dazu, dass der Patient nicht stabilisiert werden konnte und letztlich starb.

Das Gericht entschied, dass die Behandlung so gravierende Fehler aufwies, dass die Klinik beweisen musste, dass diese Fehler nicht die Ursache für den Tod waren – ein Beweis, der nicht erbracht wurde. Die Klägerin erhielt deshalb ein Schmerzensgeld von 75.000 Euro zugesprochen.

OLG Hamm, 4. März 2002 – 3 U 147/01 –

Schwere Geburtsschäden und lebenslange Beeinträchtigungen

800.000 EUR 

Ein heute schwerstbehinderter Kläger verlangt Schmerzensgeld und Schadenersatz wegen medizinischer Fehler während seiner Geburt. Die Mutter wurde während der Entbindung überwacht, aber entscheidende Hinweise auf eine Sauerstoffunterversorgung des Kindes wurden übersehen. Trotz pathologischer Werte unterblieb die Hinzuziehung eines Facharztes. Das Neugeborene kam mit einer schweren Asphyxie und irreversiblen Hirnschädigungen zur Welt.

Die Behandlung nach der Geburt war zwar zunächst regelkonform, doch es kam zu weiteren Verzögerungen bei der Beatmung. Diese Fehler führten zu einer dauerhaften Schädigung, die den Kläger vollständig von fremder Hilfe abhängig macht. Er leidet an einer spastisch-dystonischen Cerebralparese, Tetraspastik und weiteren schweren Beeinträchtigungen, ist aber kognitiv leistungsfähig. Das Gericht sprach dem Kläger ein Schmerzensgeld zu und stellte fest, dass sowohl die Hebamme als auch das behandelnde Krankenhaus für die Fehler verantwortlich sind.

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 5.9.2024 – 1 U 95/23 

Haftung wegen unzureichender Risikoaufklärung bei Hüftprothesen-Wechseloperation

25.000 EUR 

Eine Patientin unterzog sich einer Hüftprothesen-Wechseloperation, die aufgrund von Schmerzen und einer diagnostizierten Lockerung des Hüftgelenks erforderlich schien. Im Vorfeld wurde sie jedoch nicht ausreichend über mögliche Risiken, insbesondere Nervschädigungen, aufgeklärt. Während des Eingriffs kam es zu einer Komplikation, die eine schwerwiegende Nervenschädigung und eine anschließende Revisionsoperation erforderlich machte. Nach der Operation litt die Klägerin unter einer erheblichen Fußheberschwäche und dauerhaften Schmerzen, die ihre Lebensqualität beeinträchtigten.

Das Landgericht wies die Klage zunächst ab, da ein Behandlungsfehler nicht nachgewiesen werden konnte. Das Berufungsgericht hingegen stellte fest, dass die Aufklärung unzureichend war, insbesondere weil das Risiko einer solchen Komplikation unterschätzt und verharmlost wurde. Der Klägerin wurde ein Schmerzensgeld zugesprochen, und den Beklagten wurde auferlegt, weitere materielle Schäden zu ersetzen. Die Haftung traf sowohl den verantwortlichen Operateur als auch den aufklärenden Arzt sowie die Klinik als deren Trägerin.

OLG Nürnberg, 30. April 2015 – 5 U 2282/13

Unzureichende Aufklärung bei Brustoperation über das Risiko dauerhafter Schmerzen

 25.000 EUR

Eine Patientin ließ sich bei einem Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie eine Brustvergrößerung mittels Implantaten durchführen. Nach dem Eingriff klagte sie über anhaltende Schmerzen in der linken Brust und war mit dem optischen Ergebnis unzufrieden. Eine Revisionsoperation, bei der größere Implantate eingesetzt wurden, brachte keine Besserung. Sie lehnte eine weitere Korrektur ab und warf dem Arzt unzureichende Aufklärung über Risiken, insbesondere über mögliche dauerhafte Schmerzen, sowie fehlerhafte Operationen vor. Der Arzt bestritt die Vorwürfe. Ein gerichtliches Gutachten konnte keine Behandlungsfehler feststellen, bestätigte jedoch die Aufklärungspflicht über dauerhafte Schmerzen.

Die Klägerin litt nachweislich unter starken Schmerzen und psychischen Belastungen. Das Landgericht sprach ihr zunächst ein Schmerzensgeld von 5.000 € zu. Im Berufungsverfahren erhöhte das Gericht das Schmerzensgeld auf 25.000 €, da eine unzureichende Aufklärung festgestellt wurde und die Schmerzen als erhebliche Beeinträchtigung gewertet wurden. Zudem wurde der Ersatz der Gutachterkosten sowie die Haftung für künftige Schäden bestätigt.

OLG Köln, 5. Juni 2024 – I-5 U 91/23

Kein Schmerzensgeldanspruch bei Corona Impfung ohne nachgewiesene Folgeschäden trotz fehlender Aufklärung

Der Kläger machtegeltend, dass sein verstorbener Vater vor drei Corona-Impfungen nicht ausreichend aufgeklärt worden sei. Der Vater habe sich trotz mangelhafter Aufklärung impfen lassen, da ihm der Hausarzt eindringlich das erhöhte Risiko eines schweren Verlaufs aufgrund seines Alters verdeutlicht habe.  

Das Gericht stellte klar, dass das Einstechen der Spritze und das Einbringen des Impfstoffs zwar grundsätzlich eine Körperverletzung darstellt, jedoch durch die Einwilligung gerechtfertigt wird, sofern eine ausreichende Aufklärung erfolgt ist. Allerdings sei selbst bei einer fehlerhaften Aufklärung für einen Schmerzensgeldanspruch ein tatsächlicher immaterieller Schaden erforderlich. Das bloße Setzen einer Spritze und das kurzzeitige Unwohlsein seien lediglich Bagatellbeeinträchtigungen, die das allgemeine Wohlbefinden nicht nachhaltig stören. Ohne länger anhaltende Schmerzen oder andere Folgeschäden rechtfertigen solche minimalen Beeinträchtigungen keinen Anspruch auf Entschädigung.

LG Ravensburg, 16.3.2023 – 3 O 1/23 –, juris

Fehlerhafte MRT-Untersuchung: Schmerzensgeld für Nervenverletzung durch groben Behandlungsfehler

30.000 EUR

Der Kläger begab sich im April 2018 wegen Nacken- und Kopfschmerzen in die radiologische Praxis der Beklagten für eine MRT-Untersuchung. Nach Abschluss der Untersuchung verkeilte sich sein linker Arm im Gerät. Trotz der Hilferufe des Klägers stoppte der verantwortliche Praktikant die Liege nicht, sondern entfernte sich, um Hilfe zu holen. Der Arm des Klägers wurde durch das Gerät gezogen, wodurch er eine Oberarmfraktur mit Nervenverletzungen (Plexus brachialis-Schädigung) erlitt. Der Kläger musste operiert werden und leidet seither an erheblichen Einschränkungen und Schmerzen im Alltag. Vor dem Unfall konnte der Kläger trotz früherer gesundheitlicher Einschränkungen normale Alltagsaufgaben wie Fensterputzen oder Autofahren problemlos erledigen. Diese Tätigkeiten sind ihm seit dem Unfall nur eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich.


Das Gericht sprach dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro zu. Es stellte fest, dass der Praktikant grob fahrlässig gehandelt habe, da das Stoppen einer Maschine bei Gefahr elementares Grundwissen sei. Für die Bewertung des Fehlers sind nicht die Kenntnisse eines Praktikanten maßgeblich, sondern die einer ausgebildeten Fachkraft. Aufgrund der Beweislastumkehr wurde zugunsten des Klägers entschieden, da der Unfallhergang eine typische Ursache für eine Plexus brachialis-Schädigung darstellt.

LG Dortmund, 2.6.2022 – 4 O 12/19 

Telemedizinische Schlaganfallversorgung: Organisation und Schmerzensgeld bei Behandlungsfehler

120.000 EUR

Die Klägerin erlitt am 01.02.2017 einen schweren Schlaganfall und wurde in das Krankenhaus der Beklagten eingeliefert. Aufgrund mangelnder Organisation und fehlerhafter Absprache innerhalb der telemedizinischen Versorgung wurde die notwendige CT-Angiografie mit erheblicher Verzögerung durchgeführt. Zudem wurde die Klägerin erst spät in ein spezialisiertes Krankenhaus verlegt, nachdem ein Rettungshubschrauber wegen schlechten Wetters nicht starten konnte. Während der Behandlung unterblieb eine ausreichende Abstimmung zwischen Internisten, Radiologen und Neurologen. Die Klägerin erlitt infolge des Schlaganfalls eine schwere Behinderung, darunter eine spastische Halbseitenlähmung links und eine hohe Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad 3). Sie kann sich nur eingeschränkt bewegen und ist dauerhaft auf Unterstützung angewiesen.

Das Gericht sprach der Klägerin ein Schmerzensgeld von 120.000 Euro zu.  Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte ihre Organisationspflichten verletzt hat, da es an detaillierten Regelungen fehlte, wer welche Verantwortung übernimmt. Ein bloßes Bekenntnis zur leitlinienkonformen Behandlung reichte nicht aus. Die fehlende rechtzeitige Einbindung der Neurologen und die verzögerte CT-Angiografie wurden als grober Behandlungsfehler gewertet. Nach Ansicht des Sachverständigen hätte eine rechtzeitige Diagnostik und Behandlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit schwere Folgen des Schlaganfalls verhindern können.

Das Urteil unterstreicht, dass insbesondere bei der telemedizinischen Zusammenarbeit klare Zuständigkeiten und abgestimmte Abläufe in Form von Standardarbeitsanweisungen (SOPs) erforderlich sind, um komplexe Notfälle effizient zu bewältigen.

LG München II, 10. Mai 2022 – 1 O 4395/20

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